JUBILÄUM BIOTERRA zunehmendem Mond nach oben steigen, bei abnehmendem Mond der Erde zustreben. Sie erklärt, wie sie dank eines Mondkalenders den günstigsten Zeit- punkt für Aussaat und Baumschnitt wählte, ohne jedoch auf eine Quelle zu verweisen. Heute erhältliche Mond- kalender widersprechen sich in der Berechnung. Auch Mina verliess sich nicht blindlings auf ihren Kalender, sondern betonte, dass es für den biolo- gischen Garten keine Rezepte zum Ablesen und Nachmachen gebe: «Es gibt nur einen denkenden, einfühlsamen, mit den Naturgesetzen sich nach und nach einig werdenden Menschen.» Sie plädierte auch für den Dialog zwischen Produzentinnen und Produzenten auf dem Land und Konsumentinnen und Konsumenten in der Stadt, um das gegenseitige Verständnis und Vertrauen zu fördern. Wäre es nach ihr gegangen, hätte Warenkunde einen festen Platz im Schullehrplan gehabt. Dann hätte auch niemand mehr im September sogenannte Winteräpfel gekauft, die gar nicht lagerfähig sind. «Und junge Menschen würden auf den Gehalt einer Frucht oder eines Gemüses achten und nicht darauf, ob es ein Monstrum ist», schreibt sie weiter. Mina Hofstetter wünschte sich auch Schulgärten, in denen Kinder die Pflanzenwelt in natura kennenlernen und pflegen, säen und ernten können. Materialkunde, die Liebe zur Natur und Achtung vor der Arbeit, die Hände beschmutzt, könnten damit vermittelt werden. EINE BESSERE ZUKUNFT GESTALTEN Ihre Gedanken gehen weit über das Gärtnern und die Landwirtschaft hinaus. In ihrem Buch beschreibt sie, wie euro- päische Auswanderer Ende des 19. Jahr- hunderts in Nordamerika rücksichts- losen Raubbau betrieben, um möglichst schnell wohlhabend zu werden. Anstatt das Land für sich selbst und ihre Nach- kommen schonend urbar zu machen, hätten diese Siedler dafür gesorgt, dass Umweltkatastrophen unvermeidlich wurden: «Nachdem der beste Regulator der klimatischen Verhältnisse, der Wald, gerodet und zu Geld gemacht war, entstanden ungeheure Flächen unge- schützten Landes, welche verödeten und versandeten.» In ihren Augen sind die Überschwemmungen und Zyklone direkte Folgen dieses Raubbaus. Angesichts dieser schonungslosen Kritik könnte man meinen, Mina Hofstetter sei desillusioniert und pessimistisch gewesen. Die Gedanken in ihrem Buch legen jedoch anderes nahe. Trotz ihrer Gläubigkeit fügt sie sich nicht ergeben ihrem Schicksal und ruft auch andere dazu auf, Missstände abzustellen: «Menschenwerk hat uns in Not gebracht, und Menschenwerk können wir ändern. Doch wir trauen uns so wenig zu, Gutes zu vollbringen, und warten immer auf den lieben Gott, dass er es tue. Wenn wir der Liebe Raum geben, dann werden Wunderkräfte in uns lebendig, die nicht Wundertaten vollbringen, sondern einfach die Erfüllung der Gottesgesetze.» Zu dieser liebevollen, respektvollen Lebenseinstellung passt auch, dass in ihrem Gästebuch Widmungen aus der ganzen Welt zu finden sind. Durch die Verbindung zur Lebensreform-Bewegung hatte sie über Grenzen hinaus Kontakte geknüpft und Besucherinnen und Besucher bei sich empfangen. So verwundert es nicht, dass sie Völker- hass, Ausbeutung und Zollschranken verurteilte: «Schauen wir einmal die Welt von oben an, als Flieger! Wo sind die Grenzen? Sie existieren nur in der Einbildung und sind gemacht aus Gewinnsucht, Hass und Neid! Was ist aber der Mensch, der jenseits unseres Grenzstrichs wohnt, anderes als der Nächste? Dass diese Denkart sich ausbreitet, dafür kann niemand besser sorgen und wirken als die Frau, die Mutter (…).» Mina Hofstetter (Dritte von links), umringt von Kursteilnehmerinnen und -teilnehmern auf der Wiese ihres Hofes. F O T O S : A R C H I V B I O T E R R A | B I O T E R R A 1 / 2 0 2 2 19