Lampenputzergras Pennisetum alopecuroides ‘Hameln’. Von Sandra Weber Kaum zu glauben, aber noch vor ein paar Jahren waren Gräser selten ein Thema in Hausgärten. Gras interessierte nur in Form von Rasen. Und dies obwohl der berühmte deutsche Gärtner Karl Förster (1874–1970) schon seit den Fünfziger- jahren leidenschaftlich die Werbetrommel für Gräser rührte und auch zahlreiche Arten und Sorten in Umlauf brachte. «Welch neuartigen Gartenblick, selbst an völlig trockenen Plätzen, schenkt uns der steile, monumentale Gräserbusch des Riesen-Miscanthus, der, angerankt mit weissen und blau- en Winden, vor Gewitterwolken aufragt – oder das hohe Silber- Fahnengras, das im Gespräch mit dem Mondnachthimmel liegt», schwärmt er in seinem 1956 erschienenen Werk «Der Einzug der Gräser und Farne in die Gärten». Als «Abgesand- te einer der machtvollsten Pflanzengruppen unserer gegen- wärtigen Erdperiode» seien sie «hochwillkommene Helfer der Wildnisgartenkunst» – die zur damaligen Zeit natürlich auch noch in den Kinderschuhen steckte. Es scheint, als wären Gärten die letzten Bastionen, die sich die Gräser noch erobern mussten. Dabei findet man sie vom höchsten Berggipfel bis zum Meeresstrand, vom Sumpf bis in die Wüstengebiete und noch bis in die tiefsten Wälder. Viel- leicht gerade weil Gräser überall anzutreffen waren, sah man nicht ein, warum man sie im Garten anpflanzen sollte, wo es doch so viele grossblütige, bunte Rosen und Stauden gab. «In den letzten 15 Jahren aber hat sich das Gräser-Sortiment mehr als verzehnfacht», sagt Dieter Gaissmayer, der in seiner Stau- dengärtnerei in Illertissen im Allgäu seit Jahren mit grosser Leidenschaft Gräser vermehrt. «Das ästhetische Empfinden vieler Menschen hat sich verändert. Sie wünschen sich heute vermehrt eine naturnahere, wildromantischere Gartengestal- tung.» Statt pompöser, knalliger Staudenriesen seien filigra- nere, zartere Gewächse gefragt. Und Gräser mit ihrer grazilen, transparenten Schönheit passen wunderbar dazu. Sie bezau- bern vom frischgrünen Austrieb im Frühjahr über die flaumi- gen Blütenrispen im Hochsommer bis zur oft sensationellen Herbstfärbung in Goldgelb, Feuerrot oder Schokoladenbraun. Noch bis in den Dezember hinein verleihen die Horste dem Garten Struktur und bieten, mit Raureif überzogen, ein Bild wie aus einem Wintermärchen. «Ich liebe es besonders, wenn der Wind sanft über die Grashorste streicht und die Halme zum Tanzen, Rauschen und Rascheln bringt», sagt Gaissmayer. Und der süsse, marzipanähnliche Duft von trockenem Marien- gras sei einfach unvergleichlich. «Es ist der Duft der Heu- wiesen, der Erinnerungen an die Kindheit weckt.» ERSTAUNLICH VIELFÄLTIGES FARBSPEKTRUM Gräser sind mehr als nur ein kurzlebiger Trend: «Sie haben sich im Gartenalltag vielfach bewährt», so der Staudengärt- ner. «Abgesehen von ihrer Schönheit sind sie ausdauernd, pflegeleicht und werden praktisch kaum von Krankheiten und Schädlingen geplagt.» Zudem gebe es Gräser für jeden Standort, vom trockenen Schatten bis zum Teichufer, vom Prachtstaudenbeet bis zum Steingarten. «Dass sich Gräser unkontrolliert ausbreiten, über Versamung oder Ausläufer, ist übrigens ein weitverbreitetes Vorurteil, das für die meis- ten heute erhältlichen Arten und Sorten nicht zutrifft», er- 16 B I O T E R R A 6 / 2 0 1 7 F O T O S : B E N E D I K T D I T T L I F O T O S : B E N E D I K T D I T T L I