Jubiläums-Serie: Heute wären die Hobbygärtnerinnen Anita Schoch und Frieda Welten vielleicht einflussreiche Influencerinnen. Die eine verbreitete vor rund 40 Jahren ihre Gedanken zum biologischen Gärtnern in Radio und TV. Die andere gab ihr Wissen in Kolumnen sowie an unzähligen Vorträgen und Kursen weiter – und beide veröffentlichten Gartenratgeber.
Von Carmen Hocker
Illustration: Patrick Widmer
Grüne Latzhose, karierte Bluse und Schuhe mit Blockabsatz: So steht Anita Schoch 1981 in ihrem Garten vor der Kamera, um die SRF-Sendung «Der biologische Hausgarten» zu moderieren. Darin erklärt sie, warum Mischkultur – das Nebeneinander verschiedener Gemüse- und Blumenarten – sich am Vorbild Natur orientiert. Sie zeigt, wie man einen Kompost aufsetzt, und gibt Tipps, damit Brennnesselgülle möglichst geruchsarm gärt. In der Sequenz davor diskutieren Wissenschaftler über Teilchenphysik und versuchen, das Thema einem Laienpublikum näherzubringen. Das alles im Rahmen von «MTW – Menschen, Technik, Wissenschaft», dem heutigen Magazin Einstein», das sich mit Themen aus Forschung und Entwicklung beschäftigte. Und das in einer Zeit, als die Vorurteile über den Biolandbau zahlreich waren, da dieser angeblich nicht praktikabel sei. So schreibt Redaktor Hans Staub in einer «Bioterra»-Ausgabe (damals noch «Der biologische Landbau») von 1976: «Ich sehe schon den Tag, an dem ich auf den Gemüsemarkt gehe und ein Täfelchen lese, worauf geschrieben steht: Frische Bio-Äpfel, 1 kg, Fr. 1.30, garantiert nicht praktikabel›.» Wie es dazu kam, dass eine ambitionierte Hobbygärtnerin den Weg ins Fernsehen schaffte, dazu noch in ein populäres Wissensmagazin, konnten nicht einmal die Mitarbeitenden des SRF-Archivs in Erfahrung bringen.
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Fragmente eines Puzzles
Offene Fragen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Recherche zu diesem Artikel. Eine Google-Suche nach «Anita Schoch» führt lediglich zur bereits erwähnten Fernsehsendung und zu einem Büchlein, das 1978 erschienen ist: «Das ABC des Bio-Hobby-Gärtners». Unter dem Buchstaben A schreibt Anita Schoch über die von ihr 1973 gegründete «Arbeitsgruppe für biologischen Land- und Gartenbau»: «Deren Mitarbeiter sind seit Jahren Praktiker auf dem Gebiet des Bioanbaus. Sie haben durch die Organisation von Kursen, Vorträgen und Orientierungen in Radio und Fernsehen sowie durch ihre Beiträge in vielen Zeitschriften Tausenden von Hobbygärtnern zur Umstellung auf den biologischen Landbau verholfen.» In dieser Gruppe fanden sich Kursleiter*innen zusammen, die meist auch Mitglied waren bei der Schweizerischen Gesellschaft für biologischen Landbau SGBL, wie Bioterra bis 1994 noch hiess.

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Leidenschaftlich und engagiert
Wie Anita Schoch zum Gärtnern gefunden hat, liegt im Dunkeln. Sicher ist, dass sie ihre Überzeugungen mit Hingabe vertreten hat. Unter dem Titel «Den Bio-Anbauer ruft die Pflicht» schreibt sie 1977 in einer Magazin- Ausgabe von «Bioterra»: «Wer sollte dem unerfahrenen, ratsuchenden Hobbygärtner zeigen, wie man seinen Garten mit Erfolg giftfrei pflegt? Vielleicht ein Vertreter von chemischen Gartenhilfsmitteln oder ein theoretisierender Bio-Schwärmer? Nein, diese Pflicht kann einzig und allein ein Biopflanzer mit langjähriger Erfahrung übernehmen. Nur wer selbst mit gutem Beispiel vorangeht, hat die Chance, andere für seine Sache begeistern zu können.» Anita Schoch war ganz offensichtlich eine Frau der Tat. Ihrer Initiative wird auch zugeschrieben, dass die Schweizerische Gesellschaft für Biolandbau SGBL im selben Jahr erstmals an der Olma, der landwirtschaftlichen Messe, in St. Gallen teilnimmt. Die damalige Regionalgruppenleiterin Martha Hohermuth schreibt dazu: «Um die Besucher zu überzeugen, dass beim biologischen Landbau Spitzenqualität möglich ist, füllten wir zwei Körbe mit prächtigem Gemüse (…) Unsere Zeitschrift sowie ein Infoblatt drückten wir Interessierten in die Hand.» Obwohl das erwachende Umweltbewusstsein die Offenheit gegenüber dem biologischen Gartenbau förderte, wussten zu diesem Zeitpunkt noch wenige von der Vereinigung. «So hatte die Präsenz an der Olma bestimmt ihre Berechtigung», so Martha Hohermuth weiter.
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Über den Gartenzaun hinaus
Ein Jahr später hatten Mitglieder der Arbeitsgruppe Gelegenheit, über ihre Tätigkeiten und Ziele in einem zwanzigminütigen Selbstporträt im Radio zu berichten, im Rahmen der Sendung «Gruppenbild mit Echo». Und das Echo war unerwartet gross. Mit Dutzenden von Briefen und Anrufen bekundeten Hörer*innen ihr Interesse, meldeten aber auch Kritik an. Dass man den im Studio anwesenden «Gegnern» aggressiver hätte begegnen sollen, weist Anita Schoch zurück: «Meiner Meinung nach vereinbart sich Aggressivität nicht mit der Verfechtung des naturgemässen Anbaus.» Ihre Herangehensweise war subtiler und öffnete wohl gerade deshalb neue Türen. Kurth W. Kocher, damaliger Moderator des TV-Magazins «Menschen, Technik, Wissenschaft», unterstützte nicht nur die Sendereihe über den biologischen Gartenbau. Er motivierte Anita Schoch auch dazu, einen begleitenden Lehrgang zu schreiben. «Anita Schoch legte die Gartenwerkzeuge aus der Hand und setzte sich an den Schreibtisch. Sie musste ihre Mitarbeit auf allerlei Art büssen: Mit Hunderten von Anrufen, ungebetenen Gartenbesuchern und endlosen Änderungswünschen von meiner Seite – sie hat all die Unbill, an das Gute der Sache glaubend, ertragen», schreibt er in seiner Funktion als Herausgeber dieses schriftlichen Leitfadens. Wie aufwendig die Produktion der Sendung war, wird auch klar, wenn er ausserdem festhält, dass neben Redaktor, Kameramann und Toningenieur noch Dutzende anonym bleibender Kollegen für die Realisation verantwortlich waren – anders als heutige Youtube-Gartentutorials, die mit dem Smartphone gefilmt und sofort veröffentlicht werden.
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Extrovertiert und introvertiert
In den 1970er- / 1980er-Jahren gab es neben der etwa fünfzigjährigen Anita Schoch eine weitere Hobbygärtnerin, die sich mit Hingabe dem biologischen Landbau gewidmet hat: Frieda Welten aus Spiez BE, Schwester des bekannten Berner Botanikprofessors Max Welten. Ob die beiden Frauen nebeneinander wirkten oder ob sie im Austausch standen, konnten Zeitzeugen weder bestätigen noch dementieren. Otto Schmid, ehemaliger Biolandberater am Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, geht davon aus, «dass Anita von den Erfahrungen der deutlich älteren Gärtnerin Frieda profitiert» habe. Das belegt auch das Literaturverzeichnis von «Im Einklang mit der Natur – ein Lehrgang des biologischen Gartenbaus», in dem Anita Schoch den Ratgeber von Frieda Welten aufführt. Dieses Buch von «Fräulein Welten», wie sie in der Zeit überall genannt wird, ist die Essenz langjähriger Beobachtungen, die bis ins Jahr 1970 zurückgehen.

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Mit bescheidener Zurückhaltung
Während über Bruder Max im Historischen Lexikon der Schweiz umfassende Daten zu Vita und Schaffen zu finden sind, ergibt eine Suche nach «Frieda Welten» dort nichts. 1907 als Tochter eines Sekundarlehrers und einer Schneiderin geboren, blieb die gelernte Hauswirtschaftslehrerin unverheiratet und kinderlos. Ihr Haus am Rebberg vermachte sie 1993 dem Frauenverein Spiez.
Bekannt ist, dass sie nicht nur ihre Schülerinnen lehrte, den Garten zu pflegen. Sie gab auch Kurse im Verein Volksgesundheit und verwendete für viele Gartenarbeiten einen eigens entwickelten Pflanzlöffel, der noch immer in einer örtlichen Metallwerkstatt gefertigt wird. Auf der Website dieses Familienbetriebes ist zu lesen, «dass Frieda Welten sich schon damals mit Ökologie befasste, um mit möglichst natürlichen Methoden gegen Schädlinge angehen und die Erde schonen zu können». Auf der Suche nach einem Gerät, das beim Einpflanzen von Setzlingen – im Gegensatz zum herkömmlichen Setzholz – die Erde nicht zusammenpresst, entstand eine erste Version des Pflanzenmessers, das aufgrund seiner Form später in Pflanzlöffel umbenannt und bis heute über Bioterra vertrieben wird.
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Das Wirken von Fräulein Welten
Über viele Jahre gab Frieda Welten ihr Wissen und ihre Erfahrungen als Kolumnistin der Verbandszeitschrift «Der biologische Landbau» weiter. Ihre jahreszeitlichen Tipps waren fester Bestandteil jeder Ausgabe und endeten jeweils mit lehrreichen, aber aufmunternden Worten wie «Geniessen wir von diesen herrlich duftenden Früchten möglichst viele roh! Eingekocht und eingefroren verlieren Beeren an Geschmack und Gehalt.» Im Jahr 1980, anlässlich des Erscheinens der zweiten Auflage ihres Buches «Biologischer Gartenbau Ratgeber», wurde Frieda von der Redaktion gebeten, den Leser*innen über ihr bisheriges Tun zu berichten. In der entsprechenden Verbandszeitschrift ist zu lesen, dass sie ihren Garten 1964 auf biologisch umgestellt hat. Im Vorwort ihres Buches schreibt sie dazu: «Seine Erde war arm und müde, fünfzig Jahre intensiv genutzt, durch sengende Sonne in den oberen Partien verbrannt, beim Überspritzen total wasserabstossend (…) Mutter Erde war traurig über ihre Kinder und auch über die Gärtnerin, die trotz fleissiger Arbeit keine richtige Befriedigung fand.» Die Rettung ihres Gartens fand Frieda schliesslich dank einer SGBLSchrift zum biologischen Gartenbau und speziell über Verwendung und Wirkung von Meeralgendünger. Rückblickend schreibt sie, wie alle Kulturen zur Befriedigung gediehen, das ganze Wachstum ein freudigeres war, Gemüse, Beeren und Obst schöner und schmackhafter.

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Vermächtnis mit Langzeitwirkung
Nachdem Frieda Welten die SGBL entdeckt hatte, wurde sie Mitglied, stellte den Schulgarten in Aeschi BE um und begann bald darauf ihre Erfahrungen und Erfolge in Referaten weiterzugeben. Auf vielfaches Drängen fing sie 1970 an, ihre Beobachtungen und Ratschläge zusammenzutragen, die 1978 kompakt in ihrem Ratgeber erschienen. Mit der dritten Auflage im Jahr 1981 wurde sogar die Zehntausendergrenze überschritten. Auch bei der Wissensvermittlung sind die Zahlen eindrücklich: «Bis Ende 1979 wuchs die Zahl der Vorträge auf 90 und jene der drei- bis viertägigen Kurse auf 57; die meisten im Kanton Bern», schreibt sie über ihr Wirken. Einblicke in das gärtnerische Schaffen der Autorin gibt auch ein anderer Bericht, der in der Bioterra-Verbandszeitschrift erschienen ist: «Zu Gast bei Fräulein Welten in Spiez». An der ersten Exkursion des Sommers 1975 nahmen rund 50 Teilnehmer aus der ganzen Schweiz teil: «Vor dem braungebrannten Holzhaus am sonnigen Hang empfing uns die Gastgeberin mit strahlendem Gesicht», schreibt Teilnehmer Ulrich Gasser. «Der Garten ist ganz auf Selbstversorgung ausgerichtet. Getreide, Gemüse, Beeren, Obst und Blumen. Natürlich mit Kompostplatz, Jauchetonnen und Mulch bei allen Kulturen», heisst es weiter. Nach Auflistung der verschiedenen Gartenbereiche und unkonventionellen Tipps wie «Heringe, im Kirschbaum aufgehängt, vertreiben Amseln, werden aber neuerdings von Raben gefressen!» endet der Bericht mit einem herzlichen Dank. Denn «die Gastgeberin verwöhnte uns mit Cassis und Himbeeren direkt ab den Pflanzen sowie einem Glas eigenem Süssmost.»
Worin nun liegt das Verdienst dieser beiden Gartenfrauen? Auf ihre Weise haben beide Breitenwirkung erzielt und die Botschaft des biologischen Gärtnerns über ihren eigenen Gartenzaun hinausgetragen. Nicht schulmeisterlich, sondern voller Begeisterung und innerer Überzeugung, wie Anita Schoch so treffend schrieb: «Alle noch so dicken und guten Bücher bleiben ohne wesentlichen Erfolg, wenn dazu der zwischenmenschliche Kontakt fehlt. Und keine noch so grosse Geldspende für den Umweltschutz kann der Menschheit besser dienen als der persönliche, positive Einsatz jedes Einzelnen am richtigen Ort.»
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Jubiläums-Serie
Unser 75-Jahre-Jubiläum nehmen wir zum Anlass, unsere bewegte Geschichte zu reflektieren. In einer siebenteiligen Serie lassen wir jeweils rund ein Jahrzehnt Revue passieren. Dies bewusst etwas anders. Denn eine reine Ahnengalerie der Präsidentinnen und Präsidenten sollte es nicht werden. Auch von der Chronologie wollten wir uns nicht zu stark einschränken lassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine Auswahl an Menschen hervorzuheben. Menschen, die durch ihre Überzeugungen, Aktivitäten und Visionen das biologisch naturnahe Gärtnern gelebt und propagiert haben – oder dies noch immer tun. In allen Porträts spannen wir den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart.
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