Bioterra-Regionalgruppen, Illustration: Patrick Widmer, Fotos: Katharina Nüesch

Regionalgruppen – Grassroots nach Schweizer Fa­çon

Jubiläums-Serie: «Welche Pflanze wäre deine Regionalgruppe?» war eine Frage, die wir in einer Blitz-Umfrage gestellt haben, um das Wesen dieses ehrenamtlichen Engagements zu ergründen. Fragmentarische Rückblicke ergänzen die Annäherung an eine Graswurzelbewegung, die in den 1980er-Jahren einen Aufschwung erlebte.

Von Carmen Hocker
Illustration: Patrick Widmer
Fotos: Katharina Nüesch

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Mit spürbarer Begeisterung schreibt Bioterra-Redaktor Hans Staub in der Januar-Ausgabe 1980: «Schon wieder können wir die Gründung von drei neuen Regionalgruppen melden!» Basel, Emmental und Berner Oberland formierten sich damals. Wahrscheinlich entpuppe sich die Regionalisierung als wichtigste Entwicklung des Jahres 1979, führt er weiter aus. Die vormals «zentralistische» Schweizer Gesellschaft für biologischen Landbau SGBL gewinne dadurch an Basisnähe und Schwung, es eröffneten sich neue Wachstumsmöglichkeiten.

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Lebenswichtige Mikroorganismen

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Im Jahresinterview 2022 («Bioterra» 1/2022) sagte die ehemalige Vereinspräsidentin Barbara Eberhard, dass die Regionalgruppen der «Boden» von Bioterra seien. Erst durch diese Aussage wurde mir bewusst, wie wenig ich über die Arbeit und Bedeutung der Regionalgruppen eigentlich wusste. Dabei bin ich seit 2010 Abonnentin des Magazins und damit auch automatisch Mitglied der Organisation und einer Regionalgruppe. In meinem Fall Winterthur. Ich fragte mich, wie es sein kann, dass ich die so wichtige Basis kaum wahrgenommen habe. Arbeitet sie im wahrsten Sinne des Wortes bescheiden im Untergrund? Oder ist das nur mein persönlicher Eindruck? Wie dem auch sei. Grund genug, ihre Wurzeln aufzuspüren und zu erkunden, wie sich die verschiedenen Pflänzchen über die Jahrzehnte entfaltet haben. Denn eines ist sicher: Mit mittlerweile 30 Regionalgruppen sind zahlreiche Samen aufgegangen!

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Wichtige Multiplikatoren von Bioterra sind die Mitglieder der Regionalgruppen. Für mich sind sie sozusagen der Boden der Organisation.
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Barbara Eberhard, Bioterra-Präsidentin 1991 bis 1995

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Auf Spontaneität zählen

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Gartenbegeisterte habe ich selbst immer als von Natur aus offene und neugierige Menschen erlebt. Deshalb startete ich eine kleine Blitz-Umfrage unter den heutigen Regionalgruppenleiter*innen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Speditiv und inhaltlich divers erhielt ich innerhalb von wenigen Tagen Nachrichten aus verschiedenen Regionen der Deutschschweiz. Auf die Frage «Wenn deine Gruppe eine Pflanze wäre, welche wäre das und warum?» kamen die unterschiedlichsten Antworten. So schrieb Kathrin Niederberger von der Regionalgruppe Zug/Freiamt/Knonaueramt kurz und bündig: «Ein Löwenzahn. Egal wann und wo wir sind, wir blühen auf.» An eine Bilderbuchillustration erinnert das Zitat von Susanne Horber von der Regionalgruppe Thurgau-Bodensee: «Wir sind eine Gruppe von Frauen mit ganz unterschiedlichen Talenten. Unter dem Apfelbaum wachsen ein Gänseblümchen, ein Currystrauch, eine Rose, ein Sonnenhut, eine Ringelblume, ein Lauch und ein Weisskohl. Zusammen bilden wir den Garten Thurgau/Bodensee. Wir nähren, ergänzen und begeistern uns gegenseitig.»

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Jetzt bei einer Regionalgruppe mitmachen

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Haben Sie Lust, Kurse in biologisch naturnahem Gärtnern zu geben? Möchten Sie mit Gleichgesinnten an einem Markt Pflanzen verkaufen? Oder verspüren Sie ganz einfach Lust, sich für Bioterra zu engagieren, wissen aber nicht recht, wie? Melden Sie sich doch bei der Regionalgruppe in Ihrer Nähe.

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Impulse der Anfangszeit

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So sehr Bioterra von der Gesamtheit der Regionalgruppen getragen wurde und wird, gab es immer wieder Einzelpersonen, welche der Organisation besonderen Schwung verliehen. Von 1974 bis zu ihrem Tod im Jahr 1982 engagierte sich Anita Schoch («Bioterra» 3/2022) in einer von ihr mitinitiierten Arbeitsgruppe Biogarten, «geprägt von  einem lebhaften Tatendrang, der oft an missionarischen Eifer grenzte», wie der ehemalige Bioterra-Präsident Hans Rutz in einem Rückblick schrieb. Durch die mehrjährige Kurstätigkeit gab es bei Gründung der Regionalgruppe Luzerner Seeland im Jahr 1979 bereits ein Adressverzeichnis von rund 350 Interessierten. Die ersten Veranstaltungen wurden von bis zu 100 Personen besucht. Auch die Lokalpresse unterstützte alle Aktivitäten mit fleissiger Berichterstattung. Zu den formulierten Zielen der Gruppe zählte der Zusammenschluss interessierter Gärtnerinnen und Gärtner sowie deren Unterstützung mit Rat und Tat. Dem Streben nach steigenden Mitgliederzahlen lag zudem der Wunsch zugrunde, zu einer ernst zu nehmenden Bewegung zu werden. Denn noch immer fühlten sich die Mitglieder von Bioterra (damals noch SGBL) als Randerscheinung. Ein Beispiel dafür ist die umstrittene Teilnahme an der Gartenschau «Grün 80», die von April bis Oktober 1980 in Basel stattfand und deren Hauptinitiator der schweizerische Gärtnermeisterverband war. Trotz kontroverser Diskussionen innerhalb von Bioterra entschloss man sich, zusammen mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und der Arbeitsgruppe Biogarten Präsenz zu markieren – mit einem Biokleingarten, in dem man die Prinzipien von Mischkultur und ökologiebewusstem Obst- und Beerenanbau zeigen wollte – «im Meer der kommerziellen Interessen und des Luxus- und Mode-Gartenbaus», wie es damals in der Mitgliederzeitschrift kritisch hiess. Als wenige Monate später darin das Kursprogramm für die Gartenschau angekündigt wurde, klang der Tenor deutlich optimistischer: «Besuchen Sie einen Gartenbaukurs im  Ausstellungsgelände der ‹Grün 80›. Erfahrene Kursleiter führen Sie in die biologische Wirtschaftsweise ein. Jedem wird ein grüner Schurz umgebunden und dann kann es losgehen!»

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Wir wären eine Ruderalvegetation. Als Neulinge leisten wir im Wallis Pionierarbeit. Und trotz unserer Gemeinsamkeiten für die Sache sind wir doch recht verschieden, also verschiedene Pflänzchen.
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Ursula Germann, Regionalgruppe Wallis

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Bioterra-Regionalgruppe Wallis, Illustration: Patrick Widmer, Fotos: Katharina Nüesch

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Das Feuer entfachen

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Dieser positive Spirit, die zuversichtliche geistige Grundhaltung, ist noch heute ein Wesenszug der Bioterra-Community. Das kam auch in den Antworten der zweiten Frage «Wie begeistert Ihr Ein- und Umsteiger*innen für den Bio- und Naturgartengedanken?» zum Ausdruck. So schrieb Susanne Horber von der Regionalgruppe Thurgau/Bodensee: «Mit unserem engagierten Tun, mit unserer ansteckenden Begeisterung für den Natur- und Biogarten erhoffen wir uns, dass die Natur einen Platz bekommt in den Herzen vieler Menschen – und damit auch ihr Schutz!» Ganz ähnlich klingen die Überlegungen von Karin Thürlemann von der Regionalgruppe St. Gallen: «Was man liebt und kennt, muss man schützen. Wir versuchen, die Liebe zu entfachen – über den Magen, die Schönheit und das Wissen.» Letzteres ist die Basis aller Aktivitäten der Regionalgruppen: die Wissensvermittlung an interessierte Amateurgärtnerinnen und Pflanzenliebhaber. Neulingen Mut zu machen, einfach anzufangen, ist dabei ein wesentlicher Punkt. Kathrin Niederberger von der Regionalgruppe Zug/Freiamt/Knonaueramt ist überzeugt, dass die Hürden, einen Biogarten anzulegen, sehr klein sind. «Eigentlich braucht man nur ein Stückchen Land (oder ein paar Töpfe mit Erde), etwas Biosaatgut, ein paar Werkzeuge und Geduld. Ansonsten hält die Natur schon alles bereit, was es braucht, um Pflanzen, Tiere und Pilze gedeihen zu lassen.» Auch Annemarie Morf von der Regionalgruppe Luzern/Innerschweiz hat die Erfahrung gemacht, dass man mit abwechslungsreichen Kursen, die durch versierte Leiter*innen durchgeführt werden, viele Gartenneulinge abholen kann. Stets gut nachgefragt würden Basis-Angebote wie der Grundkurs für biologisches Gärtnern und der Sensen-Kurs.

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200

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Pro Jahr organisieren die Regionalgruppen autonom über 200 Kurse pro Jahr, mit jeweils 10 bis 15 Teilnehmenden. Wissen und Erfahrungen zum biologisch naturnahen Gärtnern werden ausserdem an Gartenhöcks, Vorträgen, Exkursionen oder Setzlingsmärkten geteilt.

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Organisch gewachsen

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Über die Jahrzehnte ist das Interesse für den Natur- und Biogarten weiter gewachsen, ebenso sind die Bioterra- Mitglieder- wie auch die Abonnement-Zahlen der Vereinszeitschrift nach wie vor steigend. Die Pionierarbeit der Anfangszeit fällt heute weg, da das Label «Bio» in breiten Kreisen der Bevölkerung bekannt ist. «Früher mussten wir in den Kursen über die schädlichen Auswirkungen von Pestiziden und Überdüngung aufklären», erinnert sich Karin Thürlemann. Heute gehe es eher darum, für den Faktor Zeit zu sensibilisieren, zu vermitteln, was es bedeutet und wie erfüllend es ist, sich für die Veränderungen im Garten Zeit zu nehmen. Wie in jeder Organisation, die von Ehrenamtlichen getragen wird, gibt es Phasen der Frustration und des Umbruchs. In manchen langjährigen Regionalgruppen ist es schwierig, Nachwuchs zu gewinnen. Manchmal bietet eine Umstrukturierung Chancen, sich neu zu erfinden, wie nach der Verjüngung eines Rosenstocks. Oder gar von null zu beginnen. So ist Ursula Germann aus dem Wallis, der jüngsten Regionalgruppe, voller Zuversicht. Seit der Formierung des Leitungsteams im Jahr 2020 sind die Mitgliederzahlen von 70 auf über 100 angestiegen. Dies führt sie auf das vielseitige Jahresprogramm zurück, auf persönliche Begegnungen an Setzlingsmärkten und auf die Aktion «Offener Garten», bei der Private ihre Gärten fürs Publikum öffnen.

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Für unsere Region von Wil auf 500 bis Wildhaus auf 1000 m ü. M. würde die Alpen-Aster sehr gut passen: robust, anpassungsfähig, winterhart und auffällig mit ihrem violetten Blütenkleid.
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Monika Stalder, Regionalgruppe Toggenburg SG

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Genuine Vor-Ort-Erlebnisse

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Ursula Ammon aus dem Emmental gibt zu bedenken, dass man heute als Regionalgruppe nur noch eine von vielen Organisationen ist, da es viel mehr Angebote auf dem «Naturpfad» gebe als früher. Sie zieht einen Vergleich zu Bauernbetrieben, die sich «teilweise durch einfallsreiche Nischenangebote abheben». Wie diese für ihre Regionalgruppe aussehen könnten, wird noch ausgelotet. Die Basis werden weiterhin Biogarten-Aufbaukurse und die Teilnahme an Märkten bilden. Annemarie Morf aus der Regionalgruppe Luzern/Innerschweiz begrüsst die Entwicklung, dass Interessierte die Kurse ihrer Regionalgruppe seit geraumer Zeit auch online über die Bioterra-Website buchen können. Das erleichtere die Organisation der Kurse. Mehr als ein Werkzeug ist die virtuelle Welt für die Regionalgruppen aber (noch) kaum. Muss es aber vielleicht auch nicht. Präsident Jean Bernard Bächtiger betonte im Jahresinterview 2022, dass sich in den Regionalgruppen erfahrene Amateurgärtner*innen engagierten, die ihr vielseitiges Wissen mit Begeisterung weitergeben. Wörtlich sagte er: «Solche authentischen Vor-Ort-Erlebnisse kann nicht jeder bieten. Wenn jemand den Obstbaumschnitt am Baum erklärt, ist das eine andere Wissensvermittlung, als wenn man ein Youtube-Tutorial anschaut.»

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Wir wären Gänseblümchen, die ohne grosse Pflege immer wieder blühen und standorttreu Bienen (Mitgliedern) Nahrung (Kurse) geben.
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Anna Wortmann, Regionalgruppe Zürcher Oberland

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Gärtnern unter Gleichgesinnten

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Die Regionalgruppe Graubünden geht sogar so weit, dass sie sich zukünftig vor allem als persönliche Austauschplattform für Gartenthemen sieht. Getreu dem Bioterra-Leitmotiv «Gärtnern – gestalten – geniessen» fördert das Team das gesellige Zusammensein durchs ganze Gartenjahr. Sogar im Winter werden im Hausgarten von Kerngruppen-Mitglied Dominik Schaub sogenannte Gartengeflüster-Gespräche veranstaltet, da jede Jahreszeit eine besondere Schönheit innehat. Für Ambiance und Geborgenheit sorgt er mit Feuerschalen, Pelletöfen und einer mobilen Überdachung. Und was ist es, das uns am Ende alle verbindet? Die Liebe zur Natur und zum Gärtnern. Nur unter gleichgesinnten Gartenverrückten lässt sich stundenlang und ungeniert über Pflanzen plaudern – in einer wundersamen Welt, die sich «Nicht-Gärtnernden» einfach nicht erschliessen mag. Rätselhaft bleibt für mich die Frage, warum ich die engagierten Frauen und Männer meiner Regionalgruppe noch nicht früher wahrgenommen habe. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich als leidenschaftliche Zierpflanzengärtnerin weniger für die Kunst der Mischkultur als für Mixed Borders interessiere. Und dass beim Versuch eines kleinen Nutzgartens der Kartoffelanbau nicht fruchtete. Gut möglich, dass es anders gekommen wäre, hätte ich mich früher für die Kurse meiner Regionalgruppe interessiert.

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Jubiläums-Serie

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Unser 75-Jahre-Jubiläum nehmen wir zum Anlass, unsere bewegte Geschichte zu reflektieren. In einer siebenteiligen Serie lassen wir jeweils rund ein Jahrzehnt Revue passieren. Dies bewusst etwas anders. Denn eine reine Ahnengalerie der Präsidentinnen und Präsidenten sollte es nicht werden. Auch von der Chronologie wollten wir uns nicht zu stark einschränken lassen. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, eine Auswahl an Menschen hervorzuheben. Menschen, die durch ihre Überzeugungen, Aktivitäten und Visionen das biologisch naturnahe Gärtnern gelebt und propagiert haben – oder dies noch immer tun. In allen Porträts spannen wir den Bogen von der Vergangenheit zur Gegenwart.

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